Schockverliebt
Dienstag, der irgend wievielte im Irgendwo.
Für Dich habe ich noch mehr Tage aus dem Buch einer Außerirdischen.
Anscheinend bin ich nicht wirklich von hier. Es ist manchmal aber auch echt schwierig, zu wissen, woher.
Anscheinend bin ich nicht wirklich von hier. Es ist manchmal aber auch echt schwierig, zu wissen, woher.
Denke nach über uns und über das Leben im Besonderen.
Deins.
Meins.
Fünf Monate ist es jetzt her, seit ich bei Dir war. Es ist
fast ein halbes Jahr Deines Lebens vergangen. Ich weiß.
Ich. Weiß.
Und trotzdem bin ich immer noch vollkommen erstarrt. Nach
so langer Zeit. Immer noch. Ich bin völlig bewegungslos.
Ich habe mich verliebt.
Schockverliebt.
Schockverliebt in eine Stadt. In eine andere Welt. In ein
anderes Leben.
Kennst Du das, wenn das Leben Dich in einen riesengroßen
Mixer steckt und das Ding dann auf die höchste Stufe einstellt?
Alles um Dich herum dreht sich. Dir wird kotzübel. Du
möchtest Dich einfach nur hinsetzen, auf einen einzigen Punkt starren und von
nichts mehr irgendetwas wissen.
Plötzlich wird es Dir völlig klar: Du hast die falsche
Pille genommen. So hattest Du Dir das echt nicht vorgestellt.
Du. Fällst. Ganz. Tief. In. Eine.
Schockstarre.
Dann stellst Du fest, das neue Programm läuft schon.
Läuft schon eine ganze Weile.
Die Flügel des Fliegers, die ich vor mir wahrnahm,
bestätigten die Realität, dass ich fliege.
Hoch über der Stadt.
Als ich die Stadt sah, tief unter mir, sah ich auch, das
erste Mal nach so langer Zeit, wie Wirklichkeit kreiert wird.
Der
Maler der Welt
Farblos erst, nicht zu unterscheiden zwischen dem Grau des
Himmels, dem Grau des Flusses, unten auf der Erde, dem Grau der Häuser, dem
Grau der Stadt, begann ein Maler seinen Pinsel sanft über die Welt zu
streichen.
Und mit jedem Strich wurde die Stadt zu einer neuen
Wirklichkeit.
Ich konnte noch nichts dieser neuen Welt zuordnen und bat
mein Kind, sie möge mir erklären, was ich selbst sehe und fragte sie, was sie denn da
unten erkennen könne.
Ihre Antwort war: „Alles“.
Der Flieger setzte zur Landung an und irgendwann gab es den
Touchdown.
London. Heathrow Airport.
Eine neue Destination im Meer der Destinationen.
Ich hatte verstanden, dass ich noch nichts verstehe und hörte
endgültig auf, zu sprechen. Meine Tochter redete für mich, nahm mich bei der
Hand, wie jemanden, der unfähig war, sich zurecht zu finden und zeigte mir den
Weg.
Mit der Tube erreichten wir die Stadt.
Lancaster Gate.
Hyde Park.
Das Blut des Lebens pumpte vibrierend durch die Venen der
Stadt.
Ich verblutete.
Mittendrin.
Das Hotel glänzte durch ein Zimmer mit Aussicht über den
Hyde Park.
Am Horizont die Skyline von London.
Es gibt Momente, in denen Dein Geist plötzlich aus dem
Nichts mitten in Dein bisheriges Sein platzt.
Dann kann er Dein Denken in ungeahnte und unbekannte Sphären erheben.
Kann Dein Denken verändern.
Dieses war so ein Moment.
Im Herzen von London.
Manchmal ist es gut, wenn die Veränderung nicht in den
Focus Deiner Wahrnehmung gelangt.
Wenn Du betäubt wirst, in Narkose gelegt, der Welt
entrückt.
Die Veränderung geschieht.
Dann wachst Du eines Tages auf und es ist ein ganz anderer
Tag.
Gestern war vor 100 Jahren.
Manchmal ist es gut, davon nichts zu wissen.
In den Tagen darauf habe ich die Stadt eingeatmet.
Ein. Aus. Ein. Aus.
Ohne Zeit. Ohne Raum.
Und alles im gleichen Moment.
Dann bin ich mit meiner Tochter in meine alte Welt zurückgekehrt.
Nicht wissend, dass es eine alte Welt ist.
Nach meinem Aufenthalt in London bin ich in der Zeit und an
vielen Orten unterwegs gewesen.
Ich habe mich gesucht und nirgends gefunden.
Mir kam ein veränderter Text eines alten Kinderliedes in
den Sinn:
Lea, Lea, Du musst wandern, von dem einen Ort zum ander`n.
Nicht, dass ich verzweifelt wäre. Also, wenn ich ehrlich
sein darf, dann doch.
Es ist immer schwierig, etwas zu erklären, was es so, wie
es sich darstellt und anfühlt, überhaupt nicht gibt. Oder geben dürfte.
Rede ich jetzt wieder Unsinn? Das kommt vor. Bei der
Außerirdischen mal gar nicht so selten.
Wie es bei Dir ist, weiß ich natürlich nicht.
Ich glaube aber, dass es sich nicht wirklich unterscheidet.
Und außerdem; was heißt schon `unterscheidet`.
Was ist der Unterschied zwischen Dir und mir?
Und ist das wirklich wichtig?
Manchmal sind die Dinge sehr unklar.
Manchmal suche ich Klarheit.
Manchmal nehme ich dazu eine Lupe.
Verwandlung
Dann nehme ich mir Urlaub von mir selbst und vom Urlaub.
Manchmal suche ich Klarheit.
Manchmal nehme ich dazu eine Lupe.
Verwandlung
Dann nehme ich mir Urlaub von mir selbst und vom Urlaub.
Liege in der Sonne. Liege am Strand. Genieße Wind und Meer.
Und was immer klarer ist; je später es wird, umso alleiner.
Grammatikalisch outerspace, ich weiß, aber es fühlt sich
genauso an.
Egal, wie bunt, laut, verrückt, schön, gesellig, wild und
einladend die Welt zu sein scheint, es bleibt eine tiefe unausgefüllte Leere,
von der kein Mensch weiß, woher sie kommt.
Aber was heißt das jetzt schon? Jetzt liege ich bleu de
bleu unter dem orange-roten Ola-Sonnenschirm. Mit weißem Rand.
Der Wind zerrt an dem aufgeblähten Baldachin, als gäbe es
kein Morgen.
Mein perfekt gebauter Strandboy hat meinen Sonnenschirm allerdings
willen- und regungslos gemacht. Sturmböen hin oder her.
Heute hat mich der liebe Gott an einen ganz besonderen
Strand gebracht. Ist eigentlich derselbe wie gestern, nur ein paar Meter
weiter. Vielleicht will er mir auf seine Weise zeigen,
wie schön die Welt an vielen Orten ist.
Anyway.
Es bleibt dabei. Meine Gedanken rutschen immer wieder weg. Ich kann sie nicht
halten.
Weit aus meinem eigenen Kopf heraus, fliege ich in eine
andere Ebene und schaue von dort hinunter auf eine Weltmetropole.
Die Außerirdische aus einem Kuhdorf, das nicht mal 3000
Seelen beherbergt, mitten in den Bergen, sieht hinunter auf eine riesige Stadt.
Und sie befindet sich im permanenten Anflug auf London Heathrow.
Ich habe in meinem Leben schon sehr oft meine örtliche
Wirklichkeit verändert.
Ich weiß sehr genau, wie es geht. Ich bin Meisterin darin.
Das letzte Mal war es so, bevor ich hier in diesem kleinen
Nest mitten in den Bergen gelandet bin. Vor einigen Jahren.
Da hatte ich vor, dass die örtliche Veränderung in acht
Monaten vollzogen wird und der Umzug ganz allmählich von statten geht, damit
mein Kind Zeit hat, sich an den Gedanken der Wandlung zu gewöhnen.
Tatsächlich aber dauerte es nur ganze drei Wochen und wir
waren an dem neuen Ort meiner Sehnsucht.
So schnell ging das damals vor sich, dass das Universum selbst
nicht ganz zeitgerecht hinterher kam und darum Namen und Gesichter von Menschen
aus unserer alten Umgebung klonte, damit das neue Bühnenbild auch stimmig war.
Sehr interessant zu beobachten!
Jetzt ist es wieder einmal so weit.
Die Zeit ist gekommen.
Jetzt ist es wieder einmal so weit.
Die Zeit ist gekommen.
Nun packe ich wieder meine 7 Sachen.
In Gedanken. Ich plane viele Monate ein. Bis es endlich
soweit ist.
Aber nur zur Vorsicht habe ich schon mal einen Flieger gebucht. Einen Flieger für
mein Kind und für mich.
Der uns wieder nach London bringt.
In einigen Monaten.
Noch ist ein Rückflug eingeplant.
Noch!
Und Dich habe ich ausgesucht!
Ausgesucht, damit Du mich in meinem Leben begleitest, bis unser Flug geht.
Ausgesucht, damit Du mich in meinem Leben begleitest, bis unser Flug geht.
Und wenn Du willst, noch lange Zeit danach.
In London.
In London.
Wenn Du es willst!
Lea